Schrepfer und der Leipziger Löwenapotheker Johann Heinrich Linck
Vor der Leipziger Pleissenburg um 1800 (historische Darstellung), Bildnachweis Dr. Otto Werner Förster, 2011
Auszug aus Dr. Otto Werner Förster: "Tod eines Geistersehers", Taurus Verlag Leipzig, 2011
Die Kriminalgeschichte um den Leipziger Kaffeehauswirt Johann Georg Schrepfer aus Nürnberg und ihre Verquickung mit dem Dresdner Hochadel und Geheimbünden im scheinbar aufgeklärten 18. Jahrhundert war seit Schrepfers »Selbstmord« 1774 im Leipziger Rosenthal mit seinen undurchsichtigen Hintergründen immer wieder Stoff für Zeitschriften und Bücher.
Moses Mendelssohn hat sich damit beschäftigt und Friedrich II., Goethe und Friedrich Nicolai, Schiller und Fontane. Aufgeklärt wurde der Fall nie, weil der Dresdner Hof das unterbunden hat.
Eine merkwürdige Verbindung ergab sich für einige Zeit zwischen Johann Georg Schrepfer und dem Apotheker Johann Heinrich Linck d. J. Der war in dritter Generation Besitzer der Leipziger Löwenapotheke.
Löwenapotheke zu Leipzig (historische Darstellung), Bildnachweis Dr. Otto Werner Förster, 2011
Schon sein Großvater hatte eine Naturalien- und Kuriositätensammlung angelegt, die auch physikalische Instrumente enthielt, wie z.B. einen großen Hohlspiegel und eine Laterna magica. Der Enkel führte sie weiter und vervollständigte sie. Die bemerkenswerte und umfangreiche Sammlung ist seit 1840 im Museum Waldenburg zu sehen.
Linck d. J. absolvierte in Frankfurt am Main eine Apothekerlehre, bevor er in Straßburg bis 1757 Medizin und Pharmazie studierte. Dort ist er auch Freimaurer geworden, und gleich nach seiner Rückkehr nach Leipzig nahm ihn die Loge »Minerva zum Zirkel« als Mitglied an, die, zumindest in Teilen, 1766 in der »Strikten Observanz« aufging.
Der »Commerzienrath« Linck – der Titel wurde ihm schon 1760 vom sächsischen Kurfürsten verliehen, der 1767 auch erster Gast der neugeordneten, öffentlich zugänglichen Sammlung war – hatte sein Haus mit der gutgehenden Apotheke in bester Lage an der »Grimmischen Gasse«,und zwar dort, wo heute der Seiteneingang eines großes Kaufhauses ist. Linck hatte genug Zeit und Muse, um in seinem Gartenhaus gleich neben dem Großbosischen Garten, heute Seeburgstraße 45, chemische und physikalische Experimente zu machen. Gebildet, naturwissenschaftlich interessiert und den Zeitströmungen gegenüber aufgeschlossen, wird der Paradiesvogel Schrepfer mit seiner ominösen Loge auch schnell in sein Blickfeld geraten sein.
Johann Georg Schrepfer wiederum brauchte Grundstoffe und Materialien, die nur ein privilegierter Apotheker beschaffen konnte. Faßbar wird das, wenn Wurmb an ihn schreibt »Was Sie mir zuletzt vor Dero Abreise zugestellt haben, hat seine Wirkung nicht gethan. Vielleicht ist ein Misverstand dabey vorgefallen ...«. Das heißt, Schrepfer bastelte Arzneien, was auch an anderer Stelle belegt ist, als er dem Dresdner »Tempelritter« und Kammerherrn von Heinitz ein offenbar wirksames Medikament gegeben hatte. Auch das gehörte zum Repertoir der Gold- und Rosenkreuzer. Und Linck wußte dazu noch, wie die optischen und akustischen Apparate, die man auch sehr gut für Theaterzauber einsetzen konnte, funktionierten, und wo man sie her bekam. Allerdings war das ein sehr kostspieliges Hobby.
Projektionskasten, Sammlung Linck, Museum Waldenburg, Bildnachweis Dr. Otto Werner Förster, 2011
Im Gegenzug wurde Linck regelmäßiger Besucher von Schrepfers Logenarbeiten, der dunklen Seite der Aufklärung sozusagen. Die Freundschaftsbeziehung zum Löwenapotheker war Schrepfer offensichtlich derart wichtig, daß er sich von Linck zu einer in der Freimaurerei eigentlich undenkbaren Handlung überreden ließ. Lincks zweite Ehefrau Dorothea wird ihren Mann entsprechend bedrängt haben. Samuel Benedict Schlegel in seinem »Tagebuch«:
»Den 1sten July [1773] hatte der Meister Schrepfer eine Arbeit angestellt, wobei die Frau L[inc]k mit zugelassen wurde, und zwar in Mannskleidern, ... nämlich ein weißl. coul. Kleid mit Schleifen ... auch hatte er ihr das Signum, was er sonst nur für sich allein an der Brust trug, vorgehängt. Den 31sten August kam Br. Wi. zu mir und sagte, daß Madame – den 4ten Grad erhalten hätte ... Es fielen nun maurerische Gegenstände vor, wo unter andern Schrepfer sagte, daß nach der neuen englischen Einrichtung auch Frauenzimmer in Mannshabits in den Orden aufgenommen werden würden. Ich sagte ihm ganz frey heraus, daß ich nicht an seine mir vorgespiegelte englische Einrichtung glaubte, weil zu allen Zeiten Frauenzimmer, und wären es auch sogar Kayserinnen und Königinnen gewesen, von dem Orden ausgeschlossen worden wären ...«
Er spricht von Schrepfers »Orden« – der offizielle Freimaurer- bzw. »Tempelherren«-Orden kann es nicht gewesen sein. Johann Heinrich Linck hat auch an den berühmten Geisterzitationen Schrepfers teilgenommen. Wohl vor allem aus wissenschaftlicher Neugier.
Kurz nach Schrepfers Tod beschäftigten sich die aufklärerischen Zeitschriften mit dem Thema. Unter ihnen war die »Allgemeine Deutsche Bibliothek« des Berliner Verlegers und Freimaurers Friedrich Nicolai eine der interessantesten und zeitkritischsten. Im Jahrgang 1775 machte sich Moses Mendelssohn, übrigens Vorbild für Lessings »Nathan« und Großvater des Komponisten und Leipziger Gewandhauskapellmeisters, im Rahmen einer Rezension »Anmerkungen über einen schriftlichen Aufsatz, die Wunderthaten des berüchtigten Schröpfers betreffend«, Gedanken über die technischen Hintergründe der »Geisterseherei«.
»... Wer leicht hoffet, ist leicht betrogen. Die Furcht macht die Täuschung noch leichter. Das Fürchterliche hat, wegen der Idee des Erhabenen, mit welchem es in Verbindung gehet, einen starcken Reitz für die Menschen Wir sehen nicht, was da stehet, sondern was wir fürchten. Was mich betrifft, so halte ich die ganze Sache für einen künstlichen Betrug. Wenn die übrigen Umstände damit übereinstimmen, so habe ich den Verdacht, daß eine Zauberlaterne vornehmlich dabey gebraucht wurde. In der Vermuthung einer Zauberlaterne bestärken mich vornehmlich auch folgende Umstände. Die Geister schienen sich zu bewegen, ohne einen Fuß zu regen, nur als schwebend. Durch die Fortrückung des Bildes in der Zauberlaterne kann man die Erscheinung fortschweben lassen, aber den Füßen keine besondere Bewegung mitteilen. Aus eben der Ursache werden auch wohl die Geister Arme und Hände auf die Brust geschlagen getragen haben. Sie erscheinen ferner in verschiedenem Lichte. Die Gesichter der Geister sahen wie geformter Dunst aus, welches vermittelst des Rauchs gar zu bewerkstelligen ist. Die beiden Spiegel, in die er öfters hineinzusehen pflegte, geben zu dieser Vermuthung fernern Anlaß ... Der beschworne Stern am Himmel scheinet auch bloß durch gut angebrachte Gläser und Hohlspiegel so große und dicke Strahlen geworfen zu haben. Durch eben dergleichen Hohlspiegel kann man einen Schall, wohin man will, reflektieren lassen, und den Schein hervorbringen, als wenn eine Antwort, die eine verborgene Person giebt, von einem Bilde gegeben würde. Durch die Reflexion wird der Schall dumpfig und hohl, so wie er von Schrepfern die Sprache der Geister genennet worden ... Ich habe nichts wider die metaphysische Möglichkeit, daß der Kayser von China mit seinen Mandarinen jetzt auf meiner Kinderstube Blindekuh spielte. Wenn aber 10 oder 20 der glaubhaftesten Zeugen izt kämen, und mir dieses einbilden wollten; so würde ich versichert seyn, sie müßten selbst sich durch irgend einen Schein haben blenden lassen, oder die Absicht haben mich zu täuschen.«
Laterna Magica, Bildnachweis Dr. Otto Werner Förster, 2011
Moses Mendelssohn, ein Zeitgenosse Schrepfers, ein denkender. Die »Zauberlaterne« heißt heute Diaprojektor. Dabei ist es bis heute gar nicht so einfach, auf Rauch, Nebel, Dampf Bilder zu projizieren. Moderne Künstler und Medienhandwerker haben die Technik für sich wiederentdeckt, allerdings mit weitaus stärkeren Lichtquellen. Insofern war Schrepfer ein begnadeter Handwerker.
Lincks Garten, vor der Stadt und ohne die Gefahr, unerwünschte Gäste zu bekommen, war oft Treffpunkt der Schrepferschen »Gesellschaft«. Die freundschaftliche Beziehung zwischen Linck und Schrepfer nahm allerdings ein schnelles Ende, in eben diesem Garten.
[...]
Brief Schrepfer's vom 22. September 1773 an den Bürgermeister und Rat der Stadt Leipzig:
»Ew. Magnificenz Hoch Edelgeb. Hoch Edle auch Hochw. Herren muß ich von Wehmuth und Bekümmerniß gantz darnieder geschlagen, leyder! Gott erbarm es! Anzeigen, daß ich ohne mein Verschulden am 17den Sept. des jetzt laufenden Jahres 1/2 7 Uhr des Abends von dem Adjudanten des allhier in Garnison stehenden Regiments Auditeur, nebst 8. Mann Unter-Offizier aus des Herrn Commercien-Rath Linckens auf der so genannten Wind-Mühlen Gaße vor dem Peters-Thore allhier liegenden Garten gewaltsamer Weise weggenommen und, und auf die hiesige Haupt-Wache gebracht worden bin, auch dergestalt mißgehandelt worden, als es niemals dem größten Mißethäter zu geschehen pfleget, daß ich dadurch in den schimpflichsten Zustand sowohl meiner Nahrung als meiner Ehre versetzet worden.
[...]
Unterthänigst gehorsamster Joh. George Schrepfer.«
[Ein Jahr nach seiner Verhaftung im Linckschen Garten starb Schrepfer am 8. Oktober 1774 unter geheimnisvollen Umständen durch einen als »Selbstmord« deklarierten Pistolenschuss im Leipziger Rosenthal.]
Ende Auszug aus Dr. Otto Werner Förster: "Tod eines Geistersehers" Johann Georg Schrepfer. Eine vertuschte sächsische Staatsaffäre, 1774. Taurus Verlag Leipzig, 2011, 112 Seiten, mit Abb. von Originaldokumenten)
Bildnachweis Dr. Otto Werner Förster, 2011
Textauszug und Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Dr. Otto Werner Förster Taurus Verlag Leipzig